Sabine Weber
Erstmals richtig mit meinem Forschungsfeld der Literatur der Ming- und Qingzeit verbunden gefühlt habe ich mich, als ich vor vielen Jahren bei zu vielen Deadlines, zu viel Quellmaterial und zu wenig Kaffee auf das zeitgenössische Konzept von pi 癖 (Manie, Obsession, Wahn) stieß. Seiner ursprünglichen Konnotation skeptischen Argwohns enthoben, scheuten sich Literati wie Yuan Hongdao (袁宏道, 1568–1610) oder Zhang Dai (張岱, *1597) nicht, die exklusive, bis in Selbstzerstörung gipfelnde Fixierung auf exzentrische Interessen zur höchsten Form der Verwirklichung des Selbst – und damit zum Zeichen wahrhaftiger Menschlichkeit – zu erklären: „Jeder Mensch hat etwas, das er [auf einzigartige Weise] schätzt – dies wird [im Allgemeinen] als pi bezeichnet. Pi ähnelt [in seinem äußeren Anschein] der Einfalt oder dem Wahnsinn, [doch] sorgt sich der Edle darum, seiner ausgenommen zu sein.“
Wenigstens mal eine Sorge weniger.
Lehrstuhl für Sinologie mit dem Schwerpunkt Geistes- und Kulturgeschichte Chinas (Alexander von Humboldt-Professur) Wissenschaftliche MitarbeitendeDr. Sabine Weber
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